Gebiss

Die Zahnärztin und die Bäckereifachverkäuferin | Die Erlebniswelt des WIRs

Neulich war ich zur jährlichen Inspektion bei meiner Zahnärztin. Nach drei Jahren Ruhe diesmal wieder ihr gefürchteter Spruch, der mir regelmäßig den Schweiß eines schwitzenden Schweines auf die Stirn treibt:
"Ja was haben WIR denn da?"


'Wie WIR?" fragte ich sie beim ersten Mal irritiert, als ich ihren Spruch noch nicht einordnen konnte.
"Was WIR?" entgegnete sie meine Gegenfrage.
Als ich dann ausführlicher nachhaken wollte, was sie denn meinte mit der ausgerufenen Gemeinsamkeit im Satz "Ja was haben WIR denn da?" vergaß ich, dass noch einige ihrer Wurstfinger in meinem Mund zwischenlagerten. Sie jaulte auf wie ein bengalischer Straßenköter mit Appetit auf Wurst, als ich für die erste Silbe in meiner Frage die bezahnten Kiefern näher aneinanderdrücken musste.
Das war damals. Ich habe dazugelernt. Kommunikation beim Zahnarzt ist für alle Beteiligten überflüssig und auch übermäßig flüssig, sozusagen lüllend, nach Betäubungen auch schon mal lallend.
"Ja was haben WIR denn da?"
Ich hatte es befürchtet. Wenn sie ihre Stimme am Ende des Satzes anhebt wie eine zirpende Zikade auf Zypern, das Ganze ein wenig zu fröhlich klingt, weiß ich: jetzt kommen Schmerzen und Höllenqualen auf mich zu. Bohrmaschinen wie die aus der Reihe der Bosch Profi edition aus meinem Bastelkeller bohren sich dann durch Zähne, Oberkiefer, direkt bis ins Kleinhirn.
Kleinhirn geht ja noch. Großhirn wäre schlimmer.
Ihre Frage "Ja was haben WIR denn da?" beantworte ich mittlerweile nur noch gedanklich: ich Schmerzen, du Geld. Wo ist da das gemeine "WIR"-Erlebnis?
Obwohl - ich könnte ja auch mal den Barracuda machen. So richtig animalisch reinbeißen in ihre Wurstfinger. Dann sie Schmerzen und ich Schmerzen. Das wäre dann das gemeinsame "WIR".
Manchmal setzt sie Füllungen ein. Besonders gerne und gehäuft vor ihren kostspieligen Urlauben in Zahnsibar. Die Spachtelmassen, die sie dabei verarbeitet, schmecken wie Acethyl, Botoxyl und Sondermyl zusammengequirlt.
Da gehe ich nach der Behandlung doch gleich zum Bäcker, um diesen chemischen Geschmack der Badischen Anilin- und Sodafabrik aus meinem Mund zu vertreiben.
Wenn ich in unserer Bäckerei auf frische Bäckereifachverkäuferinnen treffe, bin ich nach dem Ich-Schmerzen-Du-Geld-Erlebnis meistens in der richtigen aufgekratzten Stimmung, um irgendeinen abartigen Scherz zu machen. Ich brauche den schrägen Humor, um wieder runterzukommen. Vielleicht wird aber auch tatsächlich jedes Jahr das Großhirn angebohrt.
Beim letzten Mal glotzte mich das Angebot "Kaffee To Go" auf der Verkaufstheke an.
"Ich hätte gerne einen Kaffee Elfenbeinküste."
"Watt?"
"Nicht Kaffee-Watt von der Nordseeküste am plattdeutschen Strand, nicht Kaffee TOGO aus dem tiefsten Afrika, sondern Kaffee Elfenbeinküste. Das liegt übrigens links von TOGO. Also auch finstres Afrika."
Das sind die Scherze, wo ich mich meistens alleine trockenlachen muss. Wo es plötzlich peinlich still wird wie in tiefstem Wasser und viele Augen mich von hinten durchbohren wie die Akupunkturnadeln damals von der hochqualifizierten TCM-Fachfrau ohne praktische Erfahrungen.
Da meines Wissens noch nie ein Kaffee Elfenbeinküste im Angebot dieser runzeligen Bäckerei war und ich sowieso keinen Kaffee trinke, gebe ich anschließend eine Bestellung "croissant au chocolat" auf.
Nicht Schoko-Croissant. Man muss die Dinge schon beim richtigen Namen nennen. Kross sang o schoko lat.
"Da haben WIR dann 2 Euro fünfzich.", sagt die frische Backwarenverkaufende, als es ans Bezahlen geht.
Haben WIR nicht. ICH habe zwei Euro fünfzig. DU das Croissant. Und eine bescheidende Frage: oder verwendest du etwa den Pluralis Majestatis in dieser hunzeligen Bäckerei? Sie schiebt mir die croissant au chocolate in einer Papiertigertüte zu, nimmt die zwei Euro fünfzich entgegen.
"Bis dann" sagt sie zum Abschied.
"Wann denn dann?"
"Watt?"
"Nee. Kilowatt."
Einmal im Jahr muss das sein. Danach gehts mir wieder besser.
Dann bis nächstes Jahr.